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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 24.11.2004


Stolpersteine - ein unbequemes Projekt
Julia Richter

Seit Anfang der neunziger Jahre verlegt der Künstler Gunter Demnig auf Gehwegen kleine Messingplatten, die an die deportierten Opfer der Nazis erinnern. Nicht überall in Deutschland erwünscht




Der 1947 in Berlin geborene Bildhauer möchte mit seinem Projekt Spuren und Namen von Verfolgten des Dritten Reiches bewahren. Bereits 1993 begann Gunter Demnig die Daten von ermordeten Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und politisch Verfolgten in Steine einzugravieren.

Zwischen 3.000-4.000 Gedenksteinen hat der Künstler Gunter Demnig in Deutschland vor den Häusern von Naziopfern verlegt, davon über 500 in der Hauptstadt. Aus dieser Initiative sind Arbeitskreise an verschiedenen Berliner Schulen wie z. B. der Carl-von-Ossietzky-Oberschule hervorgegangen, die in Unterrichtsprojekten und in Freizeit-AGs die vom Berliner Landesarchiv zur Verfügung gestellten Dokumente über die von den Nazis verfolgten und ermordeten Menschen auswerten. Die SchülerInnen besuchen die ehemaligen Wohnorte der Opfer, sprechen mit den heutigen BewohnerInnen und machen -falls möglich- Interviews mit NachbarInnen oder Bekannten der ehemaligen NachbarInnen. Gemeinsam entwickeln sie Vorschläge für neue Stolpersteine und helfen bei der Gestaltung der Gedenkfeiern, die bei der Verlegung.

In Hamburg sind fast 700 "Stolpersteine" verlegt worden. Unterstützt wird der Bildhauer bei seiner Arbeit von dem Hamburger Kunstsammler Peter Hess, der inzwischen seit mehreren Jahren gemeinsam mit Gunter Demnig in Hamburg und anderen Orten die Verlegung von "Stolpersteinen" vor den Häusern ehemaliger jüdischer BewohnerInnen organisiert. Ihr Engagement wurde belohnt, denn dieses Jahr erhielt die Initiative für Stolpersteine in Hamburg den Max-Brauer-Preis 2004 von der http://toepfer-fvs.de Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. Hamburg.

In Köln hat der Künstler weit über 1.000 dieser Messingplatten im Straßenpflaster versenkt, in München jedoch nicht eine einzige. Als Gunter Demnig seine Aktion auf die Bayrische Landeshauptstadt ausdehnen wollte, erteilte ihm der Oberbürgermeister Christian Ude eine Absage. Auch anderswo stößt das Projekt auf Widerstand: Die am 21.10.2004 in der Württembergischen Str. 31/32 im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf in den Gehsteig eingelassenen Stolpersteine für Else und Alfred Werthahn wurden kurze Zeit darauf entwendet. (Information bei Wolfgang Knoll, Tel 6622888)

In Lindenthal fühlte sich ein Hausbesitzer durch die kleinen Messingplatten vor seiner Haustür in seinem "persönlichen Lebensbereich verletzt", wie der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete. Der so angeblich Geschädigte wandte sich an den Beschwerdeausschuss der Stadt, da die kleinen Betonwürfel mit einer Kantenlänge von ca. 10 cm zusätzlich einen "Vermögensschaden" bedeuteten, da auf den Hausbesitzer eine "ganz erhebliche Erschwernis im Fall des Verkaufs oder der Vermietung der Wohnung" zukommen würde.

Ähnlich war die Reaktion in Brühl: Demnig darf sein Projekt zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus dort nur durchführen, wenn sich die Eigentümer der betreffenden Häuser einverstanden erklären, obwohl die Steine in öffentlichem Grund ruhen.

Wer angesichts solcher Widerstände die Notwendigkeit sieht, gegen das Vergessen und Verdrängen der Vergangenheit vorzugehen und den Künstler in seiner Aktion unterstützen möchte, kann sich direkt an den Bildhauer wenden unter:

Gunter Demnig
Deutschland / Germany
50674 Köln / Cologne
+49 (0) 221 25 14 89
eMail: demnigkoeln@aol.com.

Das Projekt im Netz:
www.stolpersteine.com
info@stolpersteine.com

Stolpersteine werden über Patenschaften finanziert, die für einen Namen 95 Euro inklusive aller Vor- und Verlegearbeiten kostet. Jede/r kann sich daran beteiligen: Sowohl Privatpersonen, als auch Vereine, Schulen, Schulklassen, Städte, Stadtteile, Parteien, Stiftungen, Firmen etc. können Paten werden.
Mit dem Verlegen gehen die Steine als Schenkung in den Besitz der Stadt bzw. Gemeinde über.

An einer Patenschaft in Hamburg Interessierte können Kontakt aufnehmen mit:
lou-lou@hamburg.de
oder bei Peter Hess Tel. 040 410 51 62

Mehr zum Thema:
2002 wurde hat das Moses-Mendelssohn-Zentrum ein Kolloquium zum Thema (Jüdische) Topographien, Geschichtsmeile Jägerstraße Berlin - ein Erinnerungsprojekt initiiert.
http://www.mmz-potsdam.de/1024/index.htm

Büchertipps:

Die Journalistin Kirsten Serup-Bilfeldt
beschreibt in ihrem Buch "Stolpersteine" die Lebensgeschichten von einigen KölnerInnen, an die Gunter Demnigs Messingplatten erinnern. Die Autorin setzt nicht mit dem nationalsozialistischen System der Vernichtung auseinander, sondern zeichnet die Lebenswege der im Dritten Reich Ermordeten nach, indem sie in Archiven und Nachlässen recherchierte sowie frühere NachbarInnen, FreundInnen und Verwandte der Deportierten befragte. Dennoch gestaltete sich die Suche häufig schwierig: "Manchmal haben die Nationalsozialisten eben doch auf ganzer Linie gesiegt: Sie haben nicht nur die Menschen ermordet, sondern gleichzeitig die Erinnerung an sie ausgelöscht", ist das traurige Fazit der Journalistin.

Kirsten Serup-Bilfeldt
Stolpersteine. Vergessene Namen, verwehte Spuren. Wegweiser zu Kölner Schicksalen in der NS-Zeit

Kiepenheuer & Witsch, Köln erschienen im April 2003
ISBN 3-462-03535-5
Euro 8,90200592826575


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Beitrag vom 24.11.2004

AVIVA-Redaktion